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Die "Toten" schlafen nicht – Ohrenschmaus in der Morgendämmerung

In Amselgesang eingebettete Stimmen
von Fred Klode

Aufgefallen war mir schon länger, dass eine recht zutrauliche Amsel sowohl am Tage wie auch am frühen Morgen ihren volltönenden flötenden Gesang von einem bestimmten Baum unseres Gartens erklingen ließ. Bekannt sein dürfte, dass nur das Männchen singt. Da wir Experimentatoren ja immer mal wieder darüber nachsinnen, welches taufrische "Rohmaterial" wir unseren jenseitigen Freunden zur Stimmengewinnung anbieten können, dämmerte es mir angesichts des gefiederten Gesellen. So hatte ich nachmittags schnell ein Diktiergerät samt Mikrofon im Gartenhaus zur Hand. Als die Schwarzdrossel so richtig in Fahrt kam, lief das Gerät bereits. Nach dem Überspielen auf den Kassettenrekorder waren die Ergabnisse unverwechselbar zu hören. Hier ein Auszug: Als Erstes rief mich meine verstorbene Frau Iris laut beim Vornamen. Kein Zweifel, es war ihre charakteristische Stimme. Danach folgten kurze Sätze wie "Geh nicht weg!" – "Ich bin doch hier" – "Da haste Glück" – "Wir sehen alles, was du tust" – "Wir hören alles super". Rätselhaft dagegen der laute Zuruf "Tausend Harian ..."

Es war offenkundig, dass die Stimmen dann synchron einsetzten, wenn die Amsel gerade sang; die Aussagen waren in der kraftvollen Strophe geradezu eingebettet. Für mich die verblüffende Erfahrung: Ein gewöhnlicher Gartenvogel, der überall anzutreffen ist, als talentierter Sprachvermittler zur jenseitigen Welt! Das grandiose Erlebnis am Nachmittag beflügelte mich, es frühmorgens um vier Uhr noch einmal zu versuchen. Mucksmäuschenstill schlich ich mich ins Badezimmer und baute meine Mini-Apparatur am offenen Fenster auf. Es dauerte nicht lange, da war der begnadete Sänger, dem man auch Spöttereigenschaften (ahmt andere Vogelgesänge nach) nachsagt, schon im Anflug. Von hoher Warte (Baumspitze) begann er flugs sein Morgenkonzert. Wieder fieberte ich einem neuen Ohrenschmaus entgegen.

Abermals gut verständlich vernahm ich nach dem Überspielen die für mich bemerkenswerten Aussagen "Hier ist alles verbunden" – "Iris lebt noch!" – "Auch die Friedel (Schwiegermutter) lebt noch ... jetzt viel better" – "Ist da der Fred!" – "Hier ist Alex von den Kerkhoff (kürzlich verstorbener Freund)" – "Du hast doch Video ..."

Bei insgesamt drei Einspielungen von ca. 25 Minuten Länge konnte ich annähernd 100 Aussagen gewinnen. Sie alle hatten einen persönlich Bezug zu mir oder waren der jeweiligen Situation angepasst. Selbst der perlende Gesang eines Rotkehlchens, das Zetern des Zaunkönigs, das mitunter nervende Krähen eines Gockels des benachbarten Klosters sowie die tickende Uhr im Badezimmer wurden zum Teil recht vergnüglich kommentiert. Auch fehlte es nicht an Hinweisen wie "Mikrofon ... dreh noch nach oben" (also lauter einstellen) und "Machst ausgezeichnet".

Ein Lapsus allerdings unterlief mir bei der ersten Einspielumg: Ich hatte keine Fragen gestellt. Das bekam ich prompt aufs Butterbrot geschmiert: "Sollst fraaagen – über allen Dingen ... haste doch gewusst!" – Es war für mich ein großartiges Erlebnis, in der belebten Natur Stimmen auch von unseren Freunden zu hören, die es uns gewiss nicht schwer machen, uns von ihrer Existenz jederzeit zu überzeugen. Ich kann naturnahe Einspielungen (auch an stimmenträchtigen Bachläufen) daher sehr empfehlen – denn "die Toten schlafen nicht".


(Erschienen in der VTF-Post P 112, Ausgabe 3/2003)